Das 20. Jahrhundert war mit Sicherheit das Jahrhundert der großen und dominanten Massenmarken. Es brachte uns Marken wie Ariel, Coca-Cola, C&A, Darbo, Eduscho, Fa, Gillette, Jacobs, Haribo, Kodak, Manner, McDonald’s, Milka, Nivea, Otto, Persil, Quelle, Tchibo, Tempo, Wella, Zewa Wisch & Weg und viele, viele mehr. Das zentrale Credo dabei: Wir müssen mit Massenwerbung Marken für die breite Masse bauen. Genau davon profitierten und profitieren natürlich auch die großen Banken- und Versicherungsmarken, egal ob Bank Austria, Bawag, Raiffeisen oder Sparkasse und egal ob Allianz, Generali, Uniqa oder Wiener Städtische.
Das perfekte Massenmedium
Ein wesentlicher Mitgrund für das Entstehen und die Dominanz dieser Massenmarken war das Fernsehen. Es war das perfekte Medium, um die Massen in Ton und Bild, zuerst in Schwarzweiß und dann in Farbe zu erreichen. So war das Fernsehen auch eine Art „großes Lagerfeuer“, um das sich etwa am Samstag pünktlich um Viertel nach Acht am Abend die gesamte Familie versammelte, um Fernsehshows wie „Am laufenden Band“ mit Rudi Carrell, „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal oder natürlich „Wetten, dass …“ zuerst mit Frank Elstner und dann vor allem mit Thomas Gottschalk zu verfolgen. Fernsehen war so nicht nur ein Medium, sondern es prägte auch unser Zusammenleben und war fixer Bestandteil des Tagesablaufs. Wie sehr ein Medium bestimmte Bereiche unseres Lebens beeinflussen kann, zeigt speziell auch die amerikanische Sportwelt. So war im Zeitalter des Radios Baseball die Sportart Nummer 1 in den USA. Mit dem Aufkommen des Fernsehens wurde Baseball von American Football und Basketball abgelöst. So waren die größeren Bälle perfekt für das Fernsehen geeignet. Der kleinere Baseball-Ball war da klar im Nachteil. Gleichzeitig teilte das Fernsehen die Markenwelt in zwei Teile, nämlich in jene, die sich dieses Medium leisten konnten, und in jene, die maximal davon träumen durften.
Das perfekte Relevanzmedium
War Fernsehen das Medium des 20. Jahrhunderts, dann ist das Internet das Medium des 21. Jahrhunderts. Dabei unterscheidet sich das Internet vor allem durch drei wesentliche Faktoren von allen anderen bisherigen Massenmedien:
- Es ist interaktiv. Nie zuvor konnten Kunden mit Marken und Marken mit Kunden in einem Massenmedium in Echtzeit miteinander kommunizieren und agieren.
- Es ist global. Während Fernsehen, Radio, Zeitungen oder auch Zeitschriften in der Regel national oder oft sogar nur regional geprägt waren, ist das Internet ein weltweites Massenmedium. So stehen auch immer öfter nationale oder auch regionale Geschäftsmodelle im Wettbewerb mit globalen Geschäftsmodellen. Das gilt vor allem auch für die Welt der Medien. Kämpften früher Radiosender gegen Radiosender in ihrem Sendegebiet um Marktanteile, stehen diese heute etwa in Konkurrenz zu Spotify und Co.
- Damit können aber – speziell bedingt durch die sozialen Medien – auch Einzelpersonen im Sinne etwa von Bloggern und Vloggern zu eigenen Medienkanälen und Medienpersönlichkeiten werden. So gab es auch noch nie zuvor ein Medium, das so viele neue Geschäftsmodelle und Marken hervor gebrachte hat.
Nur damit ist das Internet einerseits in Summe viel mehr ein Relevanz- als ein „seichtes“ Unterhaltungsmedium. Andererseits definiert das Internet das Wort „Masse“ neu. In der Fernsehwelt etwa bedeutete Masse so gut wie immer nationale oder oft sogar nur regionale Masse. Das Internet bedeutet „globale Masse“. Denn mit dem Internet kann man – total eng auf ein Thema oder eine Nische fokussiert – trotzdem global eine große Masse erreichen. Das heißt wiederum: Das Internet erlaubt eine Spezialisierung und damit auch eine relative Relevanz für die ausgewählte Zielgruppen, die vorher so nicht möglich war.
Massenmarken vs. Micromarken
Das aber hat weitreichende Konsequenzen für die Markenwelt: Denn, wenn man dies konsequent in die Zukunft weiterdenkt, sind so gut wie alle Massenmarken bis auf wenige Ausnahmen in einer relativ schlechten Ausgangssituation in diesem Medium des 21. Jahrhunderts. Denn eine breite Massenmarke wird in einer speziellen Zielgruppe am Ende des Tages so gut wie immer weniger relevant sein als eine spezialisierte und fokussierte Micromarke.Damit werden aber auch in der Banken‑, Finanz- und Versicherungswelt auf einmal bisher regionale oder nationale Geschäftsmodelle auf einmal auf internationale oder globale Geschäftsmodelle treffen. Nehmen Sie etwa nur das klassische Privatkundengeschäft. Dieses ist in Österreich immer noch von Regionalbanken geprägt, die bisher hauptsächlich mit anderen Regionalbanken oder nationalen Banken im Wettbewerb standen. Mit global ausgerichteten Geschäftsmodellen wie etwa N26 könnte sich das in Zukunft einmal radikal ändern.
Das heißt: Das Internet als globales und interaktives Medium kommt vor allem den sogenannten Fintechs extrem entgegen, die so fokussiert ganz spezielle Banken‑, Finanzierungs‑, Versicherungs‑, Währungs- und Zahlungsdienstleistungen in relativ kurzer Zeit global anbieten können. So hieß es etwa im Juli 2019 auf Internetworld.de: „10 FinTech-Start-ups, die man kennen sollte“. Genannt wurden dann: N26, Liqid, Solarisbank, Revolut, Deposit Solutions, IDnow, Figo, Fincite, FinCompare und Silicon Valley Bank.
Digitale GoldgräberstimmungDamit herrscht auch aktuell in der Internetwelt der Banken, Finanzen und Versicherungen sicher eine Art „Goldgräberstimmung“. Nur wie auch bei den Goldräuschen in Kalifornien um 1850 und in Alaska Ende des 19. Jahrhunderts, werden viele aufbrechen, aber nur ein Bruchteil davon reich zurückkommen. Aber auch dieser Bruchteil wird wahrscheinlich genügen, um langfristig die Banken‑, Finanz- und Versicherungswelt nachhaltig zu verändern. So gesehen sollten sich die etablierten Player schon heute die Frage nach ihrer Relevanz in Zukunft stellen, um diese rechtzeitig zu beantworten.Denn eines ist klar: Die Markenwelt betritt im 21. Jahrhundert eine neue Ära des Wettbewerbs. War der Wettbewerb des 20. Jahrhunderts vor allem ein Kampf um den Inhalt der Brieftaschen, wird der Wettbewerb des 21. Jahrhunderts immer mehr ein Kampf um die relative Relevanz und damit auch um die begrenzte Zeit der Kunden werden. Und hier haben, wie bereits erwähnt, spezialisierte Micromarken einen natürlichen Vorteil gegenüber etablierten Massenmarken. So wird es wahrscheinlich nur wenigen Massenmarken wirklich gelingen, für große Zielgruppen extrem relevant zu sein.
Fazit: Das 20. Jahrhundert war mit Sicherheit das Jahrhundert des Fernsehens und der Massenmarken. Das 21. Jahrhundert könnte so aber das Jahrhundert des Internets und der (globalen) Micromarken werden. Die Zukunft wird es zeigen!
Markenstratege Michael Brandtner ist Österreichs führender Markenpositionierungsexperte und Associate of Ries Global. Im Herbst 2019 erschien sein neues Buch „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com.