Bei Transaktionen ist das Retail-Banking schon seit Jahren ein digitales Geschäft. Temporäre Lockdowns und anhaltende Kontaktbeschränkungen beschleunigen den Wandel. Tatsächlich setzt die Mehrzahl der BankkundInnen in Deutschland inzwischen auch bei Beratung, Abschluss und Service auf digitale Interaktionen. Dies hat die internationale Unternehmensberatung Bain & Company in ihrer jüngsten Studie zur Kundenloyalität im Retail-Banking in Deutschland ermittelt. Befragt wurden dafür hierzulande rund 7.600 KundInnen größerer Privat- und Direktbanken, Sparkassen sowie genossenschaftlicher Institute.
Strukturen entschlossen anpassen
„Der digitale Vertrieb wird zum Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg im Retail-Banking“, stellt Bain-Partner und Branchenexperte Dr. Nikola Glusac fest. „Hybride Beratungs- und Betreuungsmodelle gewinnen immer mehr an Bedeutung.“ Die Kundschaft selbst entscheide, wann, wie und wo sie mit ihrer Bank interagieren wolle. Für die Kreditinstitute gelte es nun, ihre Strukturen beherzt anzupassen. „Nach jahrelanger digitaler Aufbauarbeit haben Banken durch das veränderte Kundenverhalten jetzt die Chance, ihre Effizienz nachhaltig zu steigern“, so Glusac.
Gleichzeitig müssen die digitalen Angebote der Banken den Kundenerwartungen nicht nur jetzt in der Pandemie entsprechen, sondern auch nach der Corona-Krise. Noch besteht hier vielerorts Verbesserungsbedarf. Die mit dem Net Promoter ScoreSM (NPS®) messbare Kundenloyalität stagnierte im Krisenjahr 2020 – und das branchenweit und je Institut. Bain-Partner und Bankenkenner Dr. Markus Bergmann warnt: „Wenn die Loyalität zur Hausbank sinkt, wird die Kundschaft offener für alternative Angebote und ist eher bereit, die Bank zu wechseln.“
Ausflüge zur Konkurrenz stoppen
Bislang machten KundInnen selbst in Zeiten von Plattformökonomie und wachsender digitaler Durchdringung nur gelegentliche Ausflüge zur Konkurrenz. Im vergangenen Jahr kauften allerdings 59 Prozent der im Rahmen der Studie Befragten auch beim Wettbewerb – lediglich in Großbritannien lag der Prozentsatz noch höher. Als Gründe werden vor allem ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis oder Produkt, mehr Service oder auch eine komfortablere App des Konkurrenzinstituts genannt. Dabei wurden besonders oft margenträchtige Produkte wie Kredite und Geldanlagen fremdgekauft, was für die Hausbanken besonders schmerzlich ist. „Diese Abwanderung verschärft den Handlungsdruck und gefährdet zunehmend das Geschäftsmodell im traditionellen Retail-Banking“, betont Bain-Partner Glusac.
Allerdings sind die Studienteilnehmer keineswegs abgeneigt, ihrer Hausbank eine neue Chance zu geben. Drei von vier Befragten, die auf ein direktes Angebot des Wettbewerbs eingegangen sind, geben an, dass sie das Produkt im Falle einer gleichwertigen Offerte auch bei ihrer Bank gekauft hätten. „Voraussetzung dafür ist jedoch eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur“, erklärt Branchenexperte Bergmann. „Die Hausbanken können die Abwanderung stoppen, wenn ihre Produkte ökonomisch attraktiv sind und sie ihre Klientel zudem zum richtigen Zeitpunkt ansprechen.“
Mit mobilem Auftritt überzeugen
Innerhalb der digitalen Kanäle wird dem Mobile-Banking ein immer höherer Stellenwert beigemessen. Seit 2016 steigt die Zahl der mobilen Interaktionen über Smartphone oder Tablet in Deutschland um knapp 8 Prozent pro Jahr, während sie im Online-Banking in einer ähnlichen Größenordnung sinkt. „Wenn Hausbanken ihre KundInnen binden und neue gewinnen wollen, führt an der kontinuierlichen Optimierung ihrer Apps und der dahinterliegenden Prozesse kein Weg vorbei“, so Bergmann. „Je überzeugender der mobile Auftritt einer Bank ist, desto weniger befasst sich die Kundschaft mit Alternativen. Und ihre Bereitschaft, schnell und einfach ein weiteres Produkt zu erwerben, wächst ebenfalls.“
Chancen konsequent nutzen
Auch am Thema Nachhaltigkeit führt kein Weg mehr vorbei. So würden 42 Prozent der StudienteilnehmerInnen mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Produkt bei ihrem Kreditinstitut kaufen, wenn dieses ESG-konform (Environmental, Social, Governance) agiere. Allerdings wird die Nachhaltigkeitsleistung der Banken in Deutschland kritischer bewertet als in anderen europäischen Ländern. „Nur mit einer ganzheitlichen Ausrichtung auf Nachhaltigkeit können Banken ihre Kundschaft überzeugen und so davon profitieren, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Kapitalanlagen und Finanzierungen steigt“, ist Bain-Partner Glusac überzeugt.
Ähnlich wie die Digitalisierung wird Nachhaltigkeit das Retail-Geschäft über das Jahr 2021 hinaus prägen und der gebeutelten Branche viele Möglichkeiten eröffnen. „Voraussetzung ist jedoch“, so Glusac, „dass die Banken ihre Chancen jetzt konsequent nutzen, entschlossen handeln und – allen voran – ihren digitalen Vertrieb optimieren.“