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Jochen Zöschg (Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft), Wilhelm Petersmann (Fujitsu), Michael Wiedeck (bank99), Walter Möseneder (FINTECHCIRCLE London – Ambassador), Steffen Müter (Fujitsu)

FMVÖ-Online-Forum: „Die Digitalisierung von bestehenden Services allein wird zu wenig sein.“

Zur Beleuchtung der Frage, ob die Corona-Pandemie zu einem Digitalisierungsboom in der Finanzbranche geführt hat, lud der Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ) am 16. Juni zu einem Online-Forum mit hochkarätigen Branchenvertretern.
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Obwohl der jüngste Lockdown hinter uns liegt, zeigt die Covid-19-Pandemie nach wie vor große Auswirkungen auf Arbeitsleben und Gesamtwirtschaft. Auch die Finanzbranche ist mit den Folgen konfrontiert, Banken und Versicherungen haben daher Pläne für die Post-Corona-Phase entwickelt. Um ein Stimmungsbild der Branche zu erheben, wurde vom FMVÖ eine Studie auf Basis von 30 Experteninterviews durchgeführt, deren Highlights beim Online-Forum von Studienleiter Robert Sobotka (Geschäftsführer Telemark Marketing und FMVÖ-Vorstand) vorgestellt wurden. Bei der nachfolgenden Diskussionsrunde gingen die Teilnehmer Michael Wiedeck (bank99), Walter Mösenbacher (FINTECHCIRCLE London), Steffen Müter und Wilhelm Petersmann (Fujitsu) sowie Jochen Zöschg (Zürich Versicherung) auf verschiedene Aspekte der Studie ein.

Banken als Stabilitätsfaktor für Kunden

Der Frage, ob sich das Kundenverhalten als Folge der Covid-19-Pandemie verändert hat, stimmte Michael Wiedeck (bank99) zu: „Wir sehen eine klare Veränderung im Zahlungsverhalten der Kunden. Es wird mittlerweile viel mehr mit Karte am POS bezahlt. Die NFC-Funktion hat auch durch die Erhöhung des Limits ohne Code-Eingabe auf 50 Euro massiv gewonnen.“ Andererseits konnte bei den Transaktionen an den Geldautomaten ein deutlicher Rückgang von bis zu 30 Prozent beobachtet werden. Jochen Zöschg (Zürich Versicherung) betonte, dass in einer Zeit, in der Kontakte eingeschränkt sind, Service für Kundinnen und Kunden das wichtigste sei: „Kunden erwarten mehr denn je Transparenz, Einfachheit und sympathische Unterstützung.“

Auch hinsichtlich der Rolle der Finanzindustrie wurde seitens der Diskussionsteilnehmer eine Veränderung konstatiert. „Banken sind im Stabilitäts- und Vertrauensbusiness tätig. Im Unterschied zur Finanzkrise 2008, die von Banken mit verursacht wurde, wird die Finanzindustrie bei dieser globalen Herausforderung als Teil der Lösung gesehen. Österreichs Banken haben als Teil der kritischen Infrastruktur während der Covid-19-Pandemie einen ausgezeichneten Job gemacht. Sei es im Firmenkundenbereich, wo das Thema oft die Überbrückung von Liquiditätsengpässen war oder die Stundung von Krediten. Sei es im Privatkundenbereich, wo es gerade zu Beginn um die Bargeldversorgung gegangen ist – Banken waren für ihre Kunden erreichbar“, erläuterte Walter Mösenbacher (FINTECHCIRCLE London).

Persönlicher Kontakt bleibt trotz Digitalisierung relevant

Geteilte Meinungen am Podium gab es hinsichtlich der Digitalisierungsprozesse. „Die Zukunft ist digital UND analog. Was selbsterklärend ist, wird digitalisiert. Bei komplexen Themen, etwa Vorsorge, wird es weiterhin das persönliche Beratungsgespräch und das Vertrauen brauchen,“ zeigte sich Jochen Zöschg (Zürich Versicherung) überzeugt. Michael Wiedeck erläuterte, dass die bank99 als neue Bank am Markt hier von Anfang an auf „mobile first“ gesetzt hat: „Alle unser Kundenprozesse werden vom Smartphone weg gedacht und neu designt.“ Laut Wilhelm Petersmann (Fujitsu) werden mehr Prozesse digitalisiert werden, aber die eigentliche persönliche Beratung wird auch in Zukunft ein starkes Bedürfnis der Kunden bleiben: „Damit geht für ein Finanzinstitut die Möglichkeit einher, sich über die persönliche Beziehung zu differenzieren. Wichtig ist es, bei diesen Digitalisierungsschritten der Prozesse die Balance zwischen individuellem Dialog und standardisierten digitalen Prozessen zu finden.“ Kritisch sieht Walter Mösenbacher hingegen die Digitalisierungsfortschritte in der Finanzindustrie: „Im Unterschied zur traditionellen Finanzwelt, die noch sehr dem ‚alten‘ Marketingkonzept der Unique Selling Proposition verbunden ist, konzentrieren sich FinTechs immer an der Customer Value Proposition. ‚More of the same‘, also nur die Digitalisierung von bestehenden Services allein, wird zu wenig sein.“

Asien: Digitalisierung birgt enorme Innovationspotenziale

Ein Blick auf die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Asien wurde im Rahmen einer Live-Schaltung zu Martin Schulz (Fujitsu Asien) in Tokio geworfen. Wie er in seinem Impulsvortrag festhielt, war Asien erstaunlich gut auf die Pandemie vorbereitet und die meisten Länder konnten das öffentliche Leben bereits nach wenigen Monaten weitgehend normalisieren. „Nach dem Neustart in der zweiten Jahreshälfte verspricht eine zunehmende Digitalisierung, die Region auf Jahre hinaus als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft zu etablieren“, so Schulz. Er verwies darauf, dass sich China in den letzten zehn Jahren zu einem weltweiten E‑Commerce-Vorreiter entwickelt habe. Über 60 Prozent aller Transaktionen auf digitalen Marktplätzen finden bereits in Asien statt. Während der Pandemie haben E‑Commerce-Umsätze einen weiteren Sprung von fast 28 Prozent gemacht. „Die Nachzügler dieser Entwicklung, zu denen auch Japan gehört, profitieren nun von einer nachholenden Digitalen Transformation. Ebenso wie es die FMVÖ-Studie ‚Wert der Veränderung‘ für Europa belegt hat, führt der Übergang zu ‚grenzenloser‘ digitaler und hybrider Arbeit, aber auch zu erheblichen Innovationspotentialen. Hiervon profitiert die lange stagnierende Finanzindustrie. Auf Japans schnell alternde Gesellschaft wirkt es fast wie ein Lebenselixier“, erläuterte Schulz.

Weiters würden digitale „Ökosysteme“ auch die Finanzwelt erobern. So verknüpfen asiatische Banken und Versicherungen über ihre Internet-Portale zunehmend nicht nur eigene und Partner-Finanzdienstleistungen, sondern diverse Dienstleistungsangebote, die sich aus Kundensicht zwar ergänzen, aber zunächst mit Finanzierungsgeschäften nur wenig zu tun haben. Laut Schulz könne man beobachten, dass solche „Ökosysteme“ in vielen Geschäftsbereichen bereits stark gewachsen seien. Als Beispiel nannte er die DBS Bank in Singapur, die ihren Kunden seit der Pandemie nicht nur maßgeschneiderte Versicherungen, sondern auch Unterstützung bei der Vermittlung von digitaler Kinderbetreuung und Telemedizin zur Verfügung stellt. Die Ping An Insurance Group, Chinas größte Finanzgruppe mit fast 600 Millionen Internetnutzern, hat ihr Geschäftsmodell bereits vor der Krise um ein komplettes digitales Ökosystem aus den Bereichen Gesundheit, Transport und Forschung erweitert und ist nun weiter stark gewachsen.

FMVÖ-Online-Forum: „Die Digitalisierung von bestehenden Services allein wird zu wenig sein.“

Neue Geschäftsmodelle dank Digitalisierung

Wilhelm Petersmann zeigte sich abschließend davon überzeugt, dass die Themen Prozessdigitalisierung, Modern Workplace und die effiziente Bewirtschaftung von hybriden IT-Umgebungen erst der Anfang sind und diese Entwicklungen auch nicht mehr zurückgedreht werden können. „Aber die große Veränderung ist die Erkenntnis, dass sich nach diesen – und ich meine das nicht despektierlich – notwendig zu erledigenden Hausaufgaben viele Unternehmen mit der Digitalisierung ihrer Produkte und der Schaffung von unternehmensübergreifenden Ökosystemen beschäftigen werden.“ Er erläuterte die bereits von Martin Schulz genannten „Ökosysteme“ anhand eines innovativen Beispiels. So könnten Finanzunternehmen bei Elektro Car Sharing Aufgaben wie die Aufnahme des Kunden in dieses Ökosystem, die Identifikation des Kunden und die Freischaltung des Autos sowie die Bezahlung der Aufladung übernehmen und via einer Block Chain-Lösung betrugssicher automatisieren. Mit Hilfe von IoT und Sensoren könnte genau für die Fahrt von A nach B eine individuelle Online-Versicherung angeboten und nach Parametern wie z. B. gefahrene Strecke, Fahrverhalten, Geschwindigkeiten, Witterung oder Fahrerkategorien individuell kalkuliert werden. „Das klingt heute noch für viele nach Utopie. Aber es gibt Unternehmen, die sich mit der Digitalisierung ihrer Produkte bereits jetzt beschäftigen“, so Petersmann.

In dasselbe Horn stieß Walter Möseneder: „Nur wer die Trends von übermorgen kennt und sich danach ausrichtet, wird auch morgen noch im Geschäftsleben eine Rolle spielen.“ In Österreich würde man noch viel zu stark jenen Ansatz verfolgen, ob man jetzt mehr oder weniger digital sei – aber das sei eine veraltete Diskussion. „In den USA spricht man weniger von ‚Digital‘, sondern es geht immer ums Geschäft oder darum, Probleme zu lösen: Also wie digitale Technologien dabei helfen können, ein neues Geschäft zu generieren, das eigene Geschäft besser zu machen oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das ist der Schlüssel zum Erfolg!“ Artificial Intelligence, Blockchain und Quantencomputing werden die wesentlichen technologischen Treiber der kommenden Jahre sein, mit denen sich auch die traditionellen Finanzdienstleister auseinandersetzen müssen. Denn Big Techs wie Alibaba, Apple, Amazon oder Facebook würden in Zukunft verstärkt im Finanzdienstleistungsbereich tätig werden.

Auf die Abschlussfrage von Diskussionsleiter Robert Sobotka, welche Pandemie-bedingten Veränderungen bleiben werden, zeigte sich Steffen Müter (Fujitsu) davon überzeugt, dass die Geschwindigkeit der Veränderung aufrecht bleiben werde. „Eine ganze Menge an Prozessen, die früher länger Zeit in Anspruch genommen haben, sind jetzt viel schneller möglich. Die ‚Time to Market‘ wird nach der Pandemie bleiben. Das ist jener Digitalisierungsschub, den sich auch alle in Europa gewünscht haben. So können wir neue Ökosysteme zum Mehrwert und zum Wohle unserer Kunden schaffen.“

FMVÖ-Online-Forum: „Die Digitalisierung von bestehenden Services allein wird zu wenig sein.“

Link zum Mitschnitt der Veranstaltung: https://www.leadersnet.at/leadersnet-tv/4471,fmvoe-online-forum-post-corona-boom-fuer-die-digitalisierung.html

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