Milan Frühbauer: Was ist unter Kontrollüberzeugung aus Sicht der Demoskopie konkret zu verstehen?
Dr. Andrea Fronaschütz: Kontrollüberzeugung – in der Fachsprache ‚locus of control‘ beziehungsweise ;internal versus external locus of control‘ – ist ein Begriff aus der Psychologie, entstanden im Zusammenhang mit der sozialen Lerntheorie. Die Kontrollüberzeugung ist eine mehr oder weniger generalisierte Erwartung einer Person darüber, ob sie die Ereignisse in ihrem Lebensraum beeinflussen kann oder nicht.
Eine internale Kontrollüberzeugung liegt dann vor, wenn ich ein Ereignis oder einen Zustand – nehmen wir die Gesundheit als Beispiel – als Konsequenz meines eigenen Verhaltens wahrnehme. Im konkreten Fall als Folge einer bewussten Lebensweise. Sehe ich meinen gesundheitlichen Zustand abgekoppelt von meinem Verhalten und mache stattdessen Schicksal oder Glück dafür verantwortlich, spricht man von externaler Kontrollüberzeugung.
Uns hat der Umgang mit Geld interessiert: Glaube ich, dass äußere Faktoren wie Glück oder Zufall meine Finanzen bestimmen, gibt es hier also eine Art „Schicksalsergebenheit“? Empfinde ich eine Art Machtlosigkeit, wenn es um meine Finanzen geht? Oder bin ich der Überzeugung, dass Einsatz und Fähigkeiten bestimmend sind?
Es steht mittlerweile außer Diskussion, dass gute Financial Literacy ein besseres Leben bedingt. Aber sind objektive Finanzkenntnisse ausreichend, um das eigene finanzielle Leben zu meistern, oder muss die Wissensvermittlung auch auf die Stärkung von notwendigen Persönlichkeitsfaktoren wie eben der Kontrollüberzeugung, Selbstwirksamkeit et cetera abzielen?
Milan Frühbauer: Stimmt der grundsätzliche Eindruck, die Österreicher seien überwiegend der Meinung, in Finanzdingen sei man letztlich des eigenen Glückes Schmied?
Dr. Andrea Fronaschütz: Ja, die Österreicher führen ihr finanzielles Wohlergehen stärker auf die eigene Arbeitsleistung und aktives Finanzmanagement zurück (interne Kontrollüberzeugung) als auf Schicksal oder Glück (externe Kontrollüberzeugung). Aber auch die externe Kontrollüberzeugung, wenn auch weniger stark ausgeprägt als die interne, ist in Bezug auf die Finanzen in der Bevölkerung gegeben.
Ob man daran glaubt, dass man in Geldfragen des eigenen Glückes Schmied ist, hängt außerdem stark mit dem Finanzwissen zusammen. Personen mit guten Finanzkenntnissen sehen ihre finanzielle Lage als kontrollierbar. Hingegen glauben jene mit schlechten Kenntnissen deutlich stärker an Glück und Schicksal, wenn es um Geld geht.
Milan Frühbauer: Wie interpretieren Sie die Ergebnisse zur externen Kontrollüberzeugung? Wie bewerten Sie den durchschnittlichen Indexwert von 4,1?
Dr. Andrea Fronaschütz: Dieser Wert deutet auf eine durchschnittliche Ausprägung der externen Kontrollüberzeugung in der Bevölkerung hin (Skala 1–7), erstrebenswert wäre eine unterdurchschnittliche. Immerhin glauben 32 Prozent der Österreicher, dass man nur durch eine Erbschaft oder einen Geldgewinn zu Wohlstand gelangen kann. Die externe Kontrollüberzeugung geht mit Passivität und Fatalismus einher und wirkt sich daher nachteilig auf das finanzielle Wohlbefinden aus.
Milan Frühbauer: Fast 50 Prozent der Befragten beurteilen ihr Finanzwissen als sehr gut beziehungsweise gut. Liegt diese positive Selbsteinschätzung nicht deutlich über jenen Werten, die in den vergangenen Monaten zum Finanzwissen der Österreicher in diversen Studien ermittelt worden sind?
Dr. Andrea Fronaschütz: Ja, die Österreicher scheinen ihr Finanzwissen zu überschätzen, aber das ist ein länderübergreifendes Phänomen, in Deutschland etwa verhält es sich ähnlich. Um das objektive Finanzwissen, also die überprüfbaren Kenntnisse über Finanzthemen, ist es in Österreich wie auch in Deutschland erschreckend schlecht bestellt.
Da es trotz Selbstüberschätzung eine positive Korrelation zwischen subjektivem und objektivem Finanzwissen gibt, wird in der Erforschung der Financial Literacy häufig das subjektive Finanzwissen gemessen. In unseren Studien bleibt der Wert für die Selbsteinschätzung im Zeitverlauf übrigens ziemlich stabil, vor etwa einem Jahr betrug er 52 Prozent.
Milan Frühbauer: Wie beurteilen Sie die Wechselwirkung zwischen Finanzwissen und die sogenannte externe Kontrollüberzeugung an Hand der Ergebnisse?
Dr. Andrea Fronaschütz: Plump ausgedrückt bedeutet die externe Kontrollüberzeugung beim Umgang mit Geld Folgendes: ‚Es ist egal, ob ich mich um meine Finanzen kümmere oder nicht, denn Geld erbt oder gewinnt man. Es liegt nicht in meiner Hand, Wohlstand zu erreichen.‘ Die Ergebnisse zeigen, dass mit höherem Finanzwissen diese Überzeugung schwindet und Platz für eine proaktive und selbstbestimmende Haltung macht:
Es zeigt sich zudem auch, dass die Zufriedenheit mit der eigenen Finanzlage sowohl mit Financial Literacy als auch mit der Art der Kontrollüberzeugung zusammenhängt. Personen, die mit ihren Finanzen zufrieden sind, haben bessere Finanzkenntnisse und sind eher der Überzeugung, ihr Finanzleben eigenhändig meistern zu können. Jene hingegen, die unzufrieden sind, haben geringere Finanzkenntnisse und führen ihre finanzielle Lage auf äußere Faktoren wie Glück und Schicksal zurück.
Milan Frühbauer: Welche Schlüsse für die allerorten geforderte Offensive zur Verbesserung der Financial Literacy kann man aus dieser Befragung ziehen?
Dr. Andrea Fronaschütz: Die wichtigste Schlussfolgerung dieser Befragung ist, dass bei der Vermittlung des Finanzwissens auch Persönlichkeitsfaktoren berücksichtigt werden sollen. In welcher Art und Weise, soll die weiterführende Forschung zeigen.
Finanzbildung soll jedenfalls darauf abzielen, Menschen zu einem konstruktiven, proaktiven Umgang mit Finanzen zu befähigen. Mit reiner Faktenvermittlung wird dies vermutlich nicht möglich sein. Die Finanzbildung sollte daher sowohl das faktische Wissen vermitteln als auch auf die Persönlichkeitsvariablen einwirken beziehungsweise die Wissensvermittlung entsprechend gestalten.
Download der 12-seitigen Präsentation „Finanzbildung und Kontrollüberzeugung”.