Machine Learning
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Machine Learning im Bankenbereich: Regulierung ist gleichzeitig Hindernis und Katalysator

Durch gezielten Einsatz geeigneter Machine Learning (ML)-Methoden können Banken ihre Effizienz steigern und so Gewinne maximieren. Die ExpertInnen von Nagler & Company erklären, wie.

Machine Learning (ML) ist ein weit gefasster Begriff, der eine Reihe von Methoden unterschiedlichster Komplexität mit vielfältigen Anwendungsgebieten beinhaltet. Eine konkrete Abgrenzung ist schwierig, da generell bereits einfachere, altbekannte statistische Methoden, wie die lineare Regression, in diese Kategorie fallen. Häufig versteht man unter ML allerdings mehrheitlich komplexe Methoden, wie zum Beispiel Künstliche Neuronale Netze (KNN). Die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Methoden besteht darin, dass rein auf Basis der vorhandenen Daten mithilfe von Algorithmen ein statistisches Modell erstellt wird, auf dessen Grundlage Prognosen und Entscheidungen getroffen werden.

Mehr Möglichkeiten bei der ML-Anwendung

Durch den Umfang der derzeit zur Verfügung stehenden Daten und Rechenkapazitäten haben sich auch die Möglichkeiten der Anwendung von ML-Methoden in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Dies wurde sowohl in der Forschung, als auch in der Privatwirtschaft längst erkannt und umgesetzt. Diverse Methoden werden quer über alle Forschungsbereiche, von Biomedizin über Mikrobiologie bis hin zur Meteorologie, verwendet. Eines der besten Beispiele ist sicherlich der Suchmaschinen-Algorithmus von Google, der neue Standards in einer ganzen Branche gesetzt hat. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die auf eine ähnliche Art der Empfehlungssysteme zurückgreifen, wie zum Beispiel Netflix, Amazon, LinkedIn oder Meta (ehemals Facebook). Auch bei Nagler & Company haben wir Erfahrung mit der Entwicklung solcher Systeme. So haben wir beispielsweise mittels Natural Language Processing (NLP) ein Modell trainiert, das die Anforderungen ausgeschriebener Kundenprojekte und ‑anfragen mit den Fähigkeiten verfügbarer MitarbeiterInnen abgleicht, bewertet und ein entsprechendes Ranking erstellt.

Speziell im Bankenumfeld hinkt man der momentanen Entwicklung laut einer Studie von Q_Perior, dem Analysehaus Lünendonk und weiteren Unternehmensberatungen aus dem Jahr 2020 hinterher. Aus der Studie geht hervor, dass zum Zeitpunkt der Erstellung nur 9 Prozent der befragten Finanzdienstleister Lösungen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) in Verwendung hatten, während 12 Prozent der Finanzdienstleister dabei waren, KI-Lösungen in den Produktivbetrieb auszurollen. Ein wesentlicher Treiber hierfür ist unseres Erachtens das weiterhin dynamische und restriktive regulatorische Umfeld für Finanzdienstleister. Durch die Umsetzung neuer regulatorischer Anforderungen werden Ressourcen in Finanzinstituten gebunden. Zusätzlich erschweren die Anforderungen an die Erklärbarkeit von Modellen den Einsatz von ML-Methoden in unterschiedlichen Bereichen des Bankgeschäfts. Dies gilt insbesondere für interne Modelle im Risikomanagement, die dezidierten Anforderungen an Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit genügen müssen und einer Genehmigung durch die Aufsicht bedürfen. Die Tatsache, dass kleine Änderungen in Eingangsdaten sich signifikant auf Modellparameter auswirken können, stellt dabei eine Herausforderung dar.

ML-Methoden vereinfachen Bewertungen und Risikomanagement

Dennoch haben ML-Methoden insbesondere im Hinblick auf die Beschleunigung komplexer, aufwendiger und rechenintensiver Verfahren in den Bereichen Bewertung und Risikomanagement großes Potential. Zu diesem Ergebnis kommt auch unser Kollege Dr. Michael Kratochwil in der empirischen Studie „Deep calibration of financial models: Turning theory into practice“. In der Studie wird die Kalibrierung eines komplexen Zinsstrukturmodells mittels eines KNN durchgeführt. Dabei wird im ersten Schritt das Bewertungsmodell für Marktinstrumente (Swaptions) unter dem Zinsstrukturmodell durch das KNN Modell abgebildet. Im zweiten Schritt wird dieses KNN genutzt, um das Modell unter der Verwendung verschiedener Optimierungsverfahren an reale Marktdaten zu kalibrieren. Die Qualität und Geschwindigkeit der Kalibrierung werden in der Studie mit den aktuellen Verfahren eines Finanzinstituts verglichen. Dabei zeigt sich, dass die Kalibrierung bei gleichbleibender Qualität deutlich beschleunigt werden kann. Das Verfahren bietet zudem den Vorteil, dass eine Validierung der einzelnen Prozessschritte unabhängig voneinander möglich ist und so die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse erhöht wird.

Erste Vorschläge der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde

Aus einem Bericht des Institute of International Finance aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass Banken im Kreditrisiko, vermehrt in den Bereichen Bewertungen, Entscheidung, Überwachung, Inkasso, Restrukturierung und Erholung, häufig auf ML-Ansätze zurückgreifen. Inzwischen ist zu erkennen, dass auch die Bankenaufsicht auf diese Entwicklung reagiert. Am 11. November 2021 wurde beispielsweise von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ein Vorschlag zur Verwendung von ML-Methoden in IRB (internal-ratings-based) Modellen veröffentlicht. IRB-Modelle werden zur Berechnung des regulatorischen Kapitals für das Kreditrisiko herangezogen, wobei die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default – PD) von KreditnehmerInnen auf Basis eines internen Verfahrens bestimmt wird. Hier könnte zukünftig auch ein ML-Ansatz in Betracht gezogen werden, mittels dessen – neben den üblichen Kennzahlen in Quartals- und Jahresabschlussberichten – auch Text durch NLP-Methoden verarbeitet und einbezogen werden kann. Nagler & Company kann u.a. durch Johannes Raab, der sich im Rahmen seiner Dissertation mit Einsatzmöglichkeiten von ML im Kreditrisikomanagement beschäftigt hat, Expertise in den Bereichen ML-gestützte Textverarbeitung, Rating- sowie PD-Modellierung vorweisen.

Transparente und eindeutige aufsichtsrechtliche Vorgaben sind für Banken die Grundlage für die Implementierung von ML-Ansätzen im Risikomanagement. Dabei sollte die Regulierung als Katalysator wirken, indem sie die Planungssicherheit der Finanzinstitute erhöht und für einheitliche Umsetzungsstandards sorgt. Aktuell werden verschiedene Richtlinien zur Spezifikation der entsprechenden regulatorischen Anforderungen diskutiert. Aus unserer Sicht werden diese Richtlinien dazu beitragen, die Einsatzmöglichkeiten von ML-Methoden in Banken zu erweitern. Allerdings besteht auch durchaus die Gefahr, dass zu restriktive und umfangreiche Vorgaben ein Hindernis bei der Implementierung entsprechender Verfahren darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass die Aufsichtsbehörden das richtige Maß bei der Gestaltung des regulatorischen Rahmenwerks zum Einsatz von ML-Methoden finden.

Nagler & Company kann bereits auf erfolgreich durchgeführte Projekte und mehrjährige Erfahrung beim Einsatz von ML-Methoden im Bankenumfeld zurückblicken. Gerne unterstützen wir auch Sie bei der Identifizierung von Anwendungsgebieten und der Auswahl und Umsetzung geeigneter Methoden – sprechen Sie uns an!

Hannes Hirber

In Kooperation mit

FMVÖ