Die Zahlen haben sich umgekehrt: Von Juli 2021 bis Juli 2022 haben 20 Prozent aller privaten Schuldner auf den dreijährigen Tilgungsplan gesetzt, nur ein Prozent auf den fünfjährigen Abschöpfungsplan. Zum Vergleich: Im Jahr vor der Neustrukturierung haben 23 Prozent das Abschöpfungsverfahren in Anspruch genommen. „Die Einführung des Tilgungsplans, der für Private, nicht aber für ehemalige Selbständige bis 2026 befristet ist, war eine präventive Handlung, die auf der Annahme basierte, dass die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie die Privatpersonen massiv treffen würden. Das ist so nicht eingetreten, wie die Ursachenanalyse des KSV1870 für und belegt. Mit dem Verfahren wurde eine Möglichkeit geschaffen, mit wenig Aufwand schnell aus den Schulden rauszukommen. Dadurch ist es zu einem Ausverkauf der Gläubigerinteressen gekommen. Sie bleiben nun vermehrt auf ihren Forderungen sitzen bzw. bekommen oft weniger als früher retour. Dabei sprechen wir von Geld, das ihnen eigentlich aufgrund von erbrachter Leistungen zu 100 Prozent zusteht“, so Karl-Heinz Götze, Leiter der Insolvenz beim KSV1870.
Aushöhlung des Privatkonkurses vermeiden
Mit Blick auf die Vorjahresergebnisse im Bereich des Privatkonkurses zeigt sich, dass viele private Schuldner die im Juli 2021 in Kraft getretene RIRL abgewartet haben, um sich in kürzerer Zeit entschulden zu können. Denn fast ein Drittel aller Privatkonkurse des Jahres 2021 ereigneten sich im vierten Quartal. Der KSV1870 plädierte vor Inkrafttreten der Novelle dafür, die Entschuldungsdauer nicht zu verkürzen, zumal erst im Jahr 2017 eine Verkürzung von sieben auf fünf Jahre erfolgte. Damals ist auch die 10-prozentige Mindestquote im Abschöpfungsverfahren gefallen. „Es kann festgehalten werden, dass dem österreichischen Erfolgsmodell im Rahmen von Insolvenznovellen also immer stärker zugesetzt wurde. Im Sinne der Gläubiger plädieren wir dafür, an der Befristung des Tilgungsplans tatsächlich festzuhalten“, so Götze.
Zahlungspläne weiter attraktiv
Im direkten Vergleich vor bzw. nach der Insolvenznovelle 2021 zeigt sich, dass Zahlungspläne weiterhin ein beliebtes Mittel sind, um private Schulden loszuwerden. 70 Prozent aller eröffneten Schuldenregulierungsverfahren münden in Zahlungsplänen. „Die Schuldner wollen weiterhin ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und greifen überwiegend auf dieses Instrument zurück. Das ist eine positive Fortsetzung des Verhaltens der Privatschuldner, weil vergleichsweise bessere Quoten für die Gläubiger erzielt werden und dadurch die Ernsthaftigkeit der Schuldner erkennt wurde. Darüber hinaus unterliegen Schuldner weniger Restriktionen als in der Abschöpfung“, so Götze. So ist etwa festgelegt, dass Schuldner auf Jobsuche dem potenziellen Arbeitgeber ein Abschöpfungsverfahren mitteilen müssen, einen Zahlungsplan hingegen nicht. Der Wermutstropfen: „Wir beobachten, dass in den vergangenen Jahren immer geringere Quoten angeboten werden. Im Laufe der Verhandlungen schaffen wir es jedoch Quoten zu verhandeln, die für alle Beteiligen fair sind“, wie der KSV1870 Insolvenzexperte erläutert.
Geringere Quoten, weniger Rückflüss
Die von Schuldnerseite angebotenen Quoten befinden sich in den vergangenen Jahren im Sturzflug: von 18 Prozent (2020), auf 16 Prozent (2021), auf 11 Prozent (2022). Aber durch den Einsatz der Gläubigerschutzverbände erstreckt sich diese Dynamik nicht auf die tatsächlich vereinbarten Zahlungspläne. Im Jahr 2020 belief sich die durchschnittliche Quote auf 32 Prozent, gefolgt von 29 Prozent (2021) und 28 Prozent (2022). „Wir verstehen, dass Schuldner so wenig wie möglich und so kurz wie möglich bezahlen wollen. Es ist jedoch unsere Aufgabe, Quoten zu verhandeln, die die Interessen von beiden Seiten berücksichtigen und gleichzeitig vom Schuldner eingehalten werden können. Die aktuelle Teuerungswelle betrifft auch die Unternehmen. Wir würden uns mehr Awareness dafür wünschen, dass es nicht die Aufgabe der Unternehmen ist, die finanzielle Schieflage von Konsumenten zu korrigieren. Zur Verdeutlichung: Ein Quotenangebot von 11 Prozent bedeutet, dass die Unternehmen 89 Prozent ihrer Forderung abschreiben müssen.
Luft nach oben: die „offenkundige Zahlungsunfähigkeit“
Im Rahmen der IO-Novelle 2021 wurde auch die Möglichkeit der „offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ (OZ) geschaffen. Sie soll dafür sorgen, aussichtslose Exekutionsverfahren zu beenden und stattdessen offene Forderungen in einem Insolvenzverfahren zu regulieren. Stellt ein Gericht die offenkundige Zahlungsunfähigkeit fest, dann erfolgt eine Exekutionssperre. Danach sollte der Schuldner aktiv werden und mit der Schuldnerberatung in Kontakt treten, um gemeinsam einen Zahlungsplanvorschlag zu erarbeiten. Sollte dieser jedoch nicht angenommen werden, kommt der Tilgungsplan ins Spiel. Die Erwartungen in die neu geschaffene „offenkundige Zahlungsunfähigkeit“ haben sich bislang jedoch nicht erfüllt: Aus 1.900 Fällen der OZ entstanden lediglich 56 Gesamtvollstreckungen (bei einem Gläubigerantrag) – das entspricht etwa drei Prozent. Weiters gab es im ersten Jahr nach der IO-Novelle 89 Zahlungspläne (5 Prozent) bzw. 18 Tilgungspläne (1 Prozent), die aus einer offenkundigen Zahlungsunfähigkeit entstanden – das sind entgegen der Erwartungen noch wenige Folge-Insolvenzeröffnungen.
Jede Forderungsanmeldung zählt
Im ersten Jahr nach der Neugestaltung des Insolvenzwesens hat sich gezeigt, dass generell weniger Gläubiger Forderungen anmelden. Grund dafür dürften schuldnerfreundliche Tilgungspläne sein und die Annahme, dass kaum mit Rückflüssen zu rechnen sei. Sprich, eine Anmeldung lohne den Aufwand nicht, doch das ist zu kurz gedacht. „Durch die sorgfältige Prüfung der Vermögenswerte ermöglicht der KSV1870 unverändert gute Rückflüsse. Wir legen allen Gläubigern wärmstens ans Herz, jede einzelne offene Forderung anzumelden. Wir befinden uns in einer Phase großer wirtschaftlicher Herausforderungen. Jeder Euro mehr in der Bilanz ist ein Plus. Dies ist eine Maßnahme, um die eigene Liquidität zu wahren, und nicht selbst in die wirtschaftliche Schieflage zu geraten“, so Götze.
Schuldenmachen bald völlig ok?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Schuldner Zeit brauchen, um ihre Schulden zurückzahlen zu können. Denn es muss ihnen möglich sein, Zahlungen zu leisten, gleichzeitig aber auch die Ausgaben des täglichen Lebens zu bestreiten. Die meisten Schuldner brauchen eine „Einschleifphase“ um sich einzustellen. „Aus unserer Sicht sollte eine Entschuldung mit einer angeschlossenen Restschuldbefreiung einen spürbaren Einsatz des Verschuldeten erfordern. Sonst besteht die Gefahr, dass verantwortungsvolles Wirtschaften in unserer Gesellschaft zum Auslaufmodell und Verschuldung das neue Normal wird. Schon jetzt ist rund ein Drittel aller Privatkonkurse auf die Überschätzung der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit und überbordenden Konsum zurückzuführen“, erklärt Götze.